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Der nicht- Deutsche Deutsche

Encarnación

Geschrieben von Timo

Nach erfolgreichem Auskatern der Karnevalsnacht, in der wir um 3 Uhr ins Hostel zurückkehrten, machten wir uns auf zum Omnibusterminal, um erneut auf der Ruta (Autobahn) 6 Richtung Osten mit dem Bus zu fahren. Diesmal fuhren wir durch Trinidad durch und stiegen 2 Dörfer weiter in Bella Vista gegen 4 Uhr nachmittags aus. Der Plan war eine Yerba Mate Fabrik zu besuchen. Das Infocenter, markiert durch eine riesige guampa mit bombilla auf einem Holzpfahl, war gerade am Schließen an diesem Sonntagnachmittag. Die freundliche Dame erklärte uns dann aber noch, dass die Mate Fabriken erst morgen wieder aufmachen, zeigte uns aber ein paar Optionen auf, was wir heute noch machen könnten. Am Ende schenkte sie uns noch 2 kalte Flaschen Wasser sowie 2 Beutel mit Yerba Mate als Entschädigung für die Durchkreuzung unserer Pläne sowie für ein Foto mit uns, dass sie auf Facebook stellen wollte im Namen des Infocenters.

Wir entschieden uns dazu ein Antiquitäten Museum zu besuchen, das von Ernesto Fischer geführt wird. In der entlegenen Dorfstraße an der richtigen Adresse angekommen, machte niemand am Zaun auf, als wir klingelten. Auf dem Grundstück stand ein Haus mit VW davor, sowie ein Holzschuppen mit lauter Antiquitäten, in den wir reingingen. In hinteren Bereich des Schuppens angekommen, sahen wir einige Senioren, die in ein Gespräch vertieft waren. Es wurde Deutsch gesprochen. Wir machten uns bemerkbar und ein 62- jähriger Herr stellte such als Ernst Fischer vor. Er ist 100% Paraguayer, allerdings sind in seinem Stammbaum vor ihm nur die Verwandten von österreichischen Migranten, die ca. 1870 von Österreich nach Brasilien migrierten. 1918 zogen sie weiter nach Paraguay. Spannend war, dass er nicht neunzehnhundertachtzehn sagte sondern tausendneunhundertachtzehn. Ansonsten war sein Deutsch exzellent, wir verstanden alles von ihm und er von uns. Ich finde das erstaunlich, da das Deutsch was er spricht seit 150 Jahren auf einem weit entfernten Kontinent sich entwickelt hat und nicht in Europa. Er war auch noch nie in Europa. Allerdings sprechen auch seine Enkelkinder kein Deutsch mehr, was er schade findet, da es zur paraguayischen Kultur gerade in dieser Ecke bzw. auch im Chaco im Norden gehört. Es lässt sich aber schwer verhindern, da seine Nachfahren auch mit "den anderen Paraguayern", die nur Spanisch bzw. Guaraní sprechen, heiraten und Deutsch natürlich nicht in der Schule gelehrt wird. Er spricht aber auch fließend Spanisch, was er in seinen 6 Schuljahren gelernt hat und Guaraní, was er im Umgang mit anderen Paraguayern gelernt hat. Er erklärte uns auch, dass der Ort Bella Vista von seinen Ahnen 1918 gegründet wurde und Bella Vista heißt, da es bei der Ankunft stark geregnet hat und am nächsten Morgen wunderschön aufklarte. Der langjährige Diktator von Paraguay Stroessner (1954-1989) lebte auch mal in Bella Vista. Immer wenn er vorbeikam, war die ganze Stadt voller Soldaten, berichtete Ernesto. Ernesto fand, dass Stroessners Dikatur gute und schlechte Seiten hatte. Er hat das Land infrastrukturell und wirtschaftlich weit nach vorne gebracht. Andererseits hat er auch viele Verbrechen begangen, wie z.B. dass seine politischen Gegner einfach verschwanden oder er eine indigene Volksgruppe fast ausrotten ließ. Generell hält Ernesto von den Paraguayern auch nicht so viel. Die Politik basiert auf Korruption, weswegen er sich daran nicht beteiligen möchte. Und der durchschnittliche Paraguayer will nicht arbeiten, so wie auch seine Museumsempfangsdame die an dem Tag wegen eines kaputten Motorrads fehlte. Er meinte, dass der Grund dafür sei, dass Paraguayer (nicht die Deutschen Ahnen) die Nachfahren von spanischen Verbrechern und den halb- nomadischen Indianern seien, so dass eine europäische Gesellschaftsform zum Scheitern verurteilt sei. 

Als Ernesto noch etwas erledigen musste, unterhielten wir uns einige Zeit mit einem ca. 40 jährigen, etwas dickeren Mann, der ebenfalls im Schuppen rumlief. Er kommt aus Chemnitz, was man unverkennbar an seinem Akzent hören konnte, und betreibt dort mit seiner Frau ein Autohaus. Er ist jedes Jahr im Januar und Februar in Paraguay, auch um günstige Autos nach Deutschland zu schiffen. Er hat sich inzwischen auch selber ein Allradauto geholt, mit dem er gerne durch den Chaco, das "schönste Fleckchen Erde", fährt und ein Grundstück in Bella Vista gekauft, auf dem er dann wohnt. Er will irgendwann auch ganz nach Paraguay ziehen, wenn es in Deutschland "mehr Dunkle als Helle" gebe, sagte er in einem freundlichen Ton. Allerdings befürchte er, dass sich Frau Merkel auch mal in Paraguay zur Ruhe setze, habe er gehört und befürchte er. Ich verkniff mir einen Kommentar zu der Nazi Aussage, da man meiner Meinung nach in einem Dialog wie diesem außer einem Streit nichts mit einer Verurteilung seiner Meinung erreichen kann, auch wenn mir viel eingefallen wäre. Seine Meinung wirkte sehr verfestigt. Als er gehen wollte, verhandelte er noch kurz mit Ernesto über den Kauf einer kleinen Handfeuerwaffe, die Ernesto wohl über hatte. Franzi befürchtete, dass er damit Immigranten in Deutschland erschießen will, ich glaube, dass das ein Teil seiner persönlichen Freiheit in seinem paraguayischen Leben ist. Schade, dass jemand, der offensichtlich selber über eine Migration nachdenkt, selber so ein Rassist ist. Leider bestätigt das auch wieder viele ostdeutsche Klischées. 

Ernesto hatte allerdings auch interessante Ansichten zum Thema Waffen. Er hat sich über die Politik beschwert, da man Einbrecher inzwischen nur noch erschießen darf, wenn sie im eigenen Gebäude sind und selbst dann noch eine Strafverfolgung befürchten muss. Das beste sei noch, dass die sogenannte Wegepolizei, also freie Bürger, die sich als Polizei aufführen, manchmal bekannte Einbrecher ungestraft töten, so dass dann wieder Ruhe ist. Nervig ist die Wegepolizei nur, wenn sie Autos anhält und Strafen verhängt, für Fehler im Straßenverkehr, wobei Ernesto noch nie ohne Grund angehalten wurde. Die echten Polizisten haben im übrigen auch Ziele wie viele Bestechungsgelder sie pro Monat einnehmen müssen. Leider haben sie keine Möglichkeiten andere Verbrechen wie Diebstahl oder Morde zu verfolgen. Uns kam das alles sehr Wild West mäßig vor und wir sind froh, dass wir diese Systeme als Tourist nicht mitbekommen. Auch der Drogenhandel und -anbau, von dem Ernesto berichtete, findet in Paraguay statt und verursacht auch Auftragsmorde und Schmuggel. Er hat und will aber nichts damit zu tun haben und dascist auch möglich.

Ein bischen widmeten wir uns auch seiner Ausstellung, die lauter alte Haushaltsgegenstände umfasste, wie Singer Nähmaschinen aus 1890, die kleinste Bibel der Welt, sowie Taschenmesser, einen Melkstuhl, 150 Jahre alte Uhren, die noch funktionierten oder Kriegsuniformen und vieles weiteres. Er holt sich regelmäßig Container aus Europa und den USA, um seine Kollektion zu erweitern. Insgesamt macht er allerdings Miese mit seinem Museum, was er der Tatsache zuschreibt, dass er Schüler und Studenten aus Paraguay umsonst reinlässt und keine Subventionen erhält. Ihm ist wichtig, dass junge Paraguayer in sein Museum kommen, um zu verstehen wiecdie Welt funktioniert z.B., dass die Milch nicht aus dem Supermarkt kommt etc.. Er weiß zwar, dass die Regionalpolitiker Geld haben, um ihn zu subventionieren, allerdings geben sie das lieber als Gehalt an ihre Parteifreunde weiter, die teilweise fadenscheinige Jobs haben. Demnächst trifft er allerdings Paraguays Präsidenten, der ihn eingeladen hat und der ihn vielleicht staatlich subventioniert. Und wenn er mit seinem Jaguar hinfährt, hält ihn auch die Wegepolizei nicht an, da er ein wichtiger Politiker sein könnte. Praktisch. Ich dachte zwischenzeitlich, dass er uns auch die 30.000 Guaraní eintritt p.P., die ich für das Museum schon sehr viel fand, wegen des netten Gespräches erlässt, aber er wirkte eher enttäuscht, dass wir nicht mehr als 60.000 PYG nach 3 Stunden Gespräch gaben. Er betonte mehrfach, dass man ja in Deutschland so viel Geld habe und in Paraguay alles so günstig sei. Trotzdem verabschiedeten wir uns freundlich und gingen zur dunklen Haupstraße mit vielen, interessanten, neuen Eindrücken. Ernesto hat uns sehr viele spannende Einblicke in sein Land und dessen Geschichte gegeben, vertritt aber auch teilweise Positionen, die wir nicht teilen konnten. Spannend war es allemal ihn zu besuchen.

Mit einem Hotel WLAN fanden wir heraus, dass ein Uber zurück über 20€ kosten würde, daher warteten wir an der beleuchteten Hauptstraße auf den Bus. Busse und LKWs waren in der Dunkelheit schwer zu unterscheiden. Als Franzi gerade im Hotel auf Klo war, kam der Bus nach ca. 30 Minuten warten. Panisch hielt ich diesen an und vermittelte dem Kassierer, dass meine Freundin noch auf Klo sei. Er war ganz entspannt und sagte, dass das kein Problem sei. Ich sprintete zum Hotel, wo Franzi gerade rauskam und wir fuhren für 2€ zurück nach Encarnación. Abends aßen wir noch auf der Dachterasse des Portobello gemütlich mit Blick auf die Costanera.

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