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Theoriekurs Mennoniten- Mit Praxisteil?

Santa Cruz

geschrieben von Timo

Angestoßen hatte den Stein ein Tischtennisspieler in Hamburg, als ich mich gerade nach einem Betriebssportspiel in Eppendorf in der Umkleide umzog. Er kommt aus Bolivien und hatte gehört, dass ich demnächst auf Südamerikareise gehen werde. Ich fragte ihn, ob er noch Tipps hätte für Bolivien und er sagte mir, dass er an meiner Stelle mal die Mennoniten besuchen würde. Ich hatte den Begriff für eine Religionsgemeinschaft schon mal gehört zu diesem Zeitpunkt, konnte es aber nicht weiter zuordnen. Ich markierte mir eine unbeschriftete Stelle bei Google Maps, da auch er mir keinen genauen Standort sagen konnte. 

 

Jetzt, über ein halbes Jahr später, mit unserer Ankunft in Santa Cruz, habe ich nochmal die Stichwörter gegoogelt: "Mennoniten" + "Santa Cruz". Und es gibt einige interessante wenngleich schockierende Artikel dazu. Angesprungen bin ich auf diesen Stern Artikel von 2014, den ich empfehlen kann. Danach haben Franzi und ich noch einige Websites, wenngleich die Anzahl begrenzt ist, entdeckt und durchgelesen, weil uns das Thema sehr beschäftigte. Im Prinzip ist die Geschichte wie folgt: Während der Reformation gründeten einige Leute im deutschsprachigen Raum eine Täuferkirche, die im Folgenden weitestgehend verfolgt wurde. Daher flüchteten die Mitglieder über Generationen erst nach Russland (im 19. Jahrhundert) und später weiter nach Kanada, Mexiko und schließlich auch einige im 20. Jahrhundert nach Bolivien, immer auf der Suche nach einem Staat, der ihnen ein rechtsfreies Gebiet bietet. Bolivien tut dies bis heute, was vermutlich auch daran liegt, dass in Bolivien andere Völker ebenfalls isoliert vom Rest des Staates z.B. im Amazonas leben dürfen. Die (Russland-) Mennoniten, die heute in Bolivien leben, leben verteilt auf unterschiedliche Dörfer und Kolonien in Abgeschiedenheit. Die extrem konservativen Mennoniten verzichten auf jeglichen technischen Fortschritt der letzten Jahrhunderte und isolieren sich komplett. Es gibt aber auch Aussteiger und weniger abgeschiedene Gruppierungen, die mit dem normalen Bolivien von heute interagieren. So haben wir zum Beispiel neulich in einer Apotheke eine Familie gesehen mit sehr vielen Kindern, altertümlicher Kleidung und blonden Haaren. Die Frauen trugen altertümliche Kleider und blonde Zöpfe und der Mann eine kurze Latzhose. Sie waren mit dem Auto unterwegs. Das vermeintliche Idyll der Abgeschiedenheit und ursprünglichen Lebensweise, das auch der Stern und andere Journalisten und Aussteiger berichten, wird dann allerdings dadurch getrübt, dass die soziale Situation innerhalb der mennonitischen Gesellschaften aus heutiger, moderner Sicht teilweise katastrophal ist. So soll es in der erzkonservativen Kolonie Manitoba, die mitten im Nichts liegt, über Jahre hinweg zu Vergewaltigungen von unzähligen weiblichen Mitgliedern der Gruppierung gekommen sein. Da die Mennoniten aber nach ihren eigenen Gesetzen leben und der Staat nur bei Mord einschreiten soll (auch wenn unklar ist, wie der Staat jemals davon erfahren soll), war dieser Zustand jahrelang Gang und Gäbe. Als der Staat dann doch davon erfuhr, wurden die Straftäter zu Haftstrafen verurteilt. In der Kolonie selber gab es jedoch nie ein Verständnis dafür, dass diese Handlungen ein so großen Drama darstellten. Die Täter durften beichten und so wurden ihnen ihre permanenten Taten vergeben. Die Opfer hielten den Zustand für normal und Teil des schweren Lebens, dass sie auf der Erde haben müssen, was ihnen Gott gegeben hat. 

 

Diese schockierenden Zustände, die auch die Konsequenz von der Isolation von der restlichen Bevölkerung sind, finden wir gerade sehr interessant und lesen uns etwas in das Thema ein. Wir überlegen auch, ein Dorf oder einen Ort zu besuchen, an dem Mennoniten wohnen. Das wäre zwar alles andere als eines der üblichen, touristischen Ziele, aber eine sehr spannende Erfahrung über die Realität des Lebens hier. Die Leute sollen Deutsch sprechenden Gästen auch aufgeschlossener sein als allen anderen Gästen. Andererseits wäre ein Besuch in der erzkonservativen Kolonie Manitoba, denke ich, zu viel des Guten, da es dort auch nach der Verurteilung der Straftäter noch zu vielen Vergewaltigungen kommen soll, da kein Problemverständnis bei den Bewohnern vorliegt. In der Großstadt Santa Cruz soll es auch ein paar Ecken geben, in denen nicht so reservierte Mennoniten regelmäßig auftauchen. Zum Beispiel auf dem Markt, um lokale Produkte zu verkaufen. Vielleicht schauen wir da mal vorbei und vielleicht ergibt sich daraus, dass wir noch etwas tiefer in den Praxisteil Mennoniten einsteigen. Es bleibt spannend.

 

P.S.: Mir geht es übrigens gestern und heute nach meiner OP schon deutlich besser. Der Bauch ist schon noch angeschlagen und ich mach nicht viel, aber das meiste geht theoretisch schon wieder. Vielleicht können wir am Wochenende weiterreisen.

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